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Sagen & Geschichten aus München

Münchner Sagen & Geschichten

Rings in der Altstadt

Aus der Gruftgasse

Raff - So lang der alte Peter... (Seite 58)


Die Gruftstraße hieß im Mittelalter „Judengasse", denn zwischen der Wein- und Dienerstraße, durch einen sogenannten Einlaß (ein gewöhnliches Tor ohne Turm) am späteren alten Polizeigebäude abgesperrt, befand sich das Judenviertel. Die Juden — angeblich seit 1182 sollten die ersten nach München gekommen sein — genossen Schutz und Begünstigung von den ersten Bayernherzogen; ihre Zahl wird schon im 15. Jahrhundert auf mehr als zweihundert angegeben. Dennoch kam es, unter der Herrschaft Herzog Ludwigs II., zweimal zu einer großen Judenverfolgung, das zweitemal aus Anlaß eines angeblichen Ritualmordes, den die Juden an einem Knaben begangen haben sollten. Damals (1285) wäre die Synagoge, „Judenschule" genannt, die neben dem Judentore lag, samt allen Juden, 180 an der Zahl, die sich hineingerettet hatten, ein Raub der Flammen geworden. Zwar kehrten die übrigen, beizeiten Geflüchteten allmählich wieder, und auch die Synagoge ward neu aufgebaut. Doch verminderte sich unter Ludwig dem Bayern, der ihre bis dahin ziemlich zahlreichen Freiheiten wesentlich einschränkte, die Zahl der Juden; auch hatten sie in den Pestzeiten um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts besonders grausame Verfolgung zu dulden, da ihnen die Schuld an der Seuche bceigemessen ward. Im Jahre 1440 wies Albrecht III., hierin dem Beispiel der Reichsstadt Augsburg folgend, die Juden völlig aus München aus. Ihre Synagoge, die halb unterirdisch in den Stadtwall eingebaut war, schenkte er seinem Leibarzt Dr. Johannes Hartlieb, einem Manne von vielseitigen geistigen Fähigkeiten, der sich auch als Schriftsteller betätigt hat. Sein Hauptwerk ist die für Anna von Braunschweig, die Gemahlin seines Fürsten, verfaßte „Historia vom großen Alexander" (1444), eine Übersetzung des Alexanderromans. Johannes Hartlieb erbaute sich aus der Synagoge ein Wohnhaus mit unterirdischer Kapelle, die er zu Ehren Marias und der Patrone der Heilkunst, St. Cosmas und Damian, weihen ließ. In der Kapelle ward ein Vesperbild aufgestellt, das der Sage nach in der Erde verscharrt gefunden worden, und das alsbald viele Andächtige anzog.
„Eine Zeit hernach" — erzählt ein späterer Chronist — „ließ sich hier nun unsere liebe Frau mit Gutthaten merklich verspüren, also daß es einen großen Zulauf dahin gegeben." Um solchen Zulaufs willen ließ Dr. Hartlieb den nördlichen Teil der ehemaligen Synagoge ganz abtragen und über der Gruftkapelle eine größere Kirche bauen. Das zweistöckige Heiligtum ward vom Volksmund „bey unserer lieben Frauen in der Gruft" genannt, woher auch die Gasse ihren Namen empfing.
Später, nach einer Erneuerung der Kirche, hieß diese die „Neustiftskirche". Seit Ende des 15. Jahrhunderts durch Schenkung in den Besitz des Klosters Andechs übergegangen und nach zeitweiliger Vergessenheit zu neuen Ehren gezogen, bestand die alte Andachtsstätte bis 1805, wo sie aufgehoben wurde. Das Vesperbild schien verschwunden, bis sich herausstellte, daß es in Andechs geborgen war, von wo es später in die Wallfahrtskirche nach Grafrath kam. Die Gruftkirche ward versteigert und zum Teil in Wohnhäuser umgewandelt, zum Teil 1865 in das alte Polizeigebäude einbezogen.

Zwei seltsame Überlieferungen knüpfen sich an das alte Gotteshaus. Einmal die Behauptung: im 18. Jahrhundert, bei einer Restauration der Kirche, hätten Arbeiter in einem Pfeiler der Gruft ein brennendes Licht eingeschlossen gefunden. Das Phänomen beschäftigte damals viele Gemüter, ohne daß mehr als bloße Vermutungen dabei herauskamen. Ferner herrschte in Betreff der täglichen 9 Uhr-Messe, die ein kurfürstlicher Hofschneider Pernoth in der Gruftkirche 1725 gestiftet hatte und die später in der St. Kajetanshofkirche gelesen ward, die weit verbreitete Volksmeinung: diese Messe sei gestiftet zur Abwendung von Münchens Untergang durch den Walchensee, der, uraltem Glauben nach, einmal ausbrechen und die ganze Stadt überfluten werde. In eben der Gruftkirche wurde alljährlich ein goldener Ring geweiht und, um das Unheil zu bannen, in den See geworfen. Die Angst vor dieser Sintflut infolge eines Ausbruchs des Walchensees hat noch bis ganz am Ende des 18. Jahrhunderts in den Gemütern gespukt.


 Albrecht III. Herzog von BayernHarlieb Johannes Dr.

Haus Falkeneck